Geschichte der "Imaginären Bibliothek"



Die "Imaginäre Bibliothek" ist ursprünglich für eine Installation auf der ARS ELECTRONICA 1990 - einem Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft in Linz, Österreich - entwickelt worden.
Das offensive Ausspielen aller Methaphern einer 'elektronischen Bibiotheksphantasie' sollte zum damaligen Motto "Virtuelle Welten-Digitale Träume" einen Gegenpol zu der Vorherrschaft der zumeist visuell orientierten VR-Technologien schaffen.
Im Rahmen des Medienfestivals war die Anwendung auf zwei Terminals installiert (AT-286, 2MB, VGA-Monitor), plaziert innerhalb eines Rundbaus inmitten von präsentierten Büchern und Buch-Objekten. Die realen Bücher sind als Einstimmung und Einführung für die Besucher gedacht. Es sind ausgewählte Exemplare, die verschiedene Ausprägungen nicht-linearer Buchformen vorstellen: zeilenweises Blättern, kombinatorisches Lesen, visuelle Poesie, Lexikonromane... Zwei Drucker drucken im Hintergrund permanent die Lese-Touren der Benutzer aus. Diese Endlos-Ausdrucke werden zu Buch-Rollen gerollt, die auf diese Weise den Bestand der imaginären Bibliothek sichtlich durch die unentwegte Produktion der Leser vergrößern.

Interface ?
Das Buch ist bisher das radikalste Interface für den Entwurf virtueller Welten.
Die IMAGINÄRE BIBLIOTHEK ist kein Fundus katalogisierter Bücher, sondern eine virtuelle LeseMaschine:
Lesen und Denken kann sich in dem mehrdimensionalen Raum der IMÄGINÄREN BIBLIOTHEK in verschiedene Richtungen entfalten: Von jeder Stelle der verzweigten Bibliothek kann man in die oberen oder unteren Stockwerke gelangen, sich horizontal oder vertikal fortbewegen. Im Verlauf dieses gezielten Umherschweifens ist ein Verirren des Leser nicht ausgeschlossen, teilweise sogar erwünscht.
Die Bücher, Buchseiten und Grafiken der IMAGINÄREN BIBLIOTHEK besitzen keine lineare Ordnung. Allerdings sind sie auch keine Lose-Blattsammlung, sondern erhalten ihre Strukturierung durch die Lesebewegungen und Leseerfahrungen der Besucher.

Ziel
Das Ziel der Anwendung ist es, durch verzweigtes assoziatives Lesen und Navigieren den Benutzer in ein Netzwerk aus Texten zu verstricken und somit eine Beteiligung des Lesers an dem Imaginationraum Bibliothek zu simulieren.

Imaginationsraum-Kooperatives Arbeiten

Die besten Programme und Netzwerkkonzepte für neue Wissenszirkulation nützen allerdings nichts, wenn sie nicht von unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, Projekten, Institutionen quer durch alle Wissensgebiete benutzt werden. ... Hypertext-Systeme [stellen] eine Herausforderung für neue Arten des Einbildens mittels Informationstechnologie dar. ... die Terminals von Hyper-Media-Environments [erscheinen] als Oberflächen, auf denen in kooperativen, sozialen Prozessen Information hergestellt und verteilt werden. (Idensen/Krohn, Kunstnetzwerke in: Rötzer, Der digitale Schein, Frankfurt/Main 1990, S.300)
Solche neuen Formen der Wissensverarbeitung müssen im Mikro-Bereich durch die Entwicklung assoziativer Textgenerierungs und Lesemodelle vorbereitet werden. Mehrdimensionalität von Informationen, mehrere Pfade, denen man folgen kann, die Möglichkeit, spontanen Einfällen zu folgen oder diese aufzeichnen zu können, gehören geauso dazu wie Retrieval- und Browsingmechanismen, die allerdings mit den inhaltlichen und stilistischen Dimensionen der Texte in Einklang gebracht werden müssen.
Die "Imaginäre Bibliothek" könnte auf spielerische, ironische Art und Weise in die neuen Kulturtechniken, die neuen Formen des Lesens und Schreibens im digitalen Umgebungen, einführen und dazu anstiften, literarische Modelle und Verfahrensweisen auf Hypertext-Produktion und Rezeption zu übertragen.

Entwicklungsprozeß

Projektidee
Nach verschiedenen Experimenten mit kooperativen Schreibprojekten, Literatur- und Zitatdatenbanken, Festivalzeitungen auf Medienfestivals wollte PooL-Processing einen Prototyp für den Umgang mit elektronischen Text-Fragmenten kreieren, der verschiedenen literarische Experimentalformen (Permutationen, Cut-Up, Romananfänge, Topographien, Visuelle Poesie ....) auf der Oberfläche eines Hypertext-Programms realisiert. Die Benutzersituation ist zunächst für eine einer Rund-Bibliotheks-Installation im öffentlichen Bereich (Medienfestivals, Tagungen, Messen ...) konzipiert (mit durchschnittlicher Nutzungsdauer von 20 - 60 Minuten).

Entwicklungsetappen
Keine Veränderungen am Programm- und am Text-Kern der Imaginären Bibliothek. (Lediglich einige Programmodule aus der Installation - wie etwa der Druckroutine, die permanent alle Leseaktivitäten ausdruckt) wurden für die hier vorliegenden Version modifiziert).
Der Datenbestandes ist allerdings durch die Leseraktivitäten in den verschiedensten Kontexten vergrößert worden.

online 1994:
Portierung von Teilen der Bibliothek (nur Text-Fragmente, hauptsächlich die Benutzereingaben) in eine online-Version (basierend auf der Verzweigungsstruktur des online-Hilfesystems des Zerberus Netzes) in der //Bionic-Mailbox (0521/68000, login: "pool")
Kovertierung über Cut/Paste Operationen und Macros: ca. 200 Stunden.
Übertragung (der Text- und Bild-Seiten - ohne die für die ursprüngliche Version speziell programmierten 'generativen Bücher') in Storyspace zu späteren Portierung ins HTML-Format, für diese Online-Version im WWW:
Konvertieren und Aufbereiten: ca. 50 Stunden
460 Hypertextknoten, 2635 Text-Links (nach der PC-Vorlage, wobei die Anzahl der Links sich - unterstützt durch die Linkwerkzeuge (Pathbuilder, Suchfunktionen etc.) in Storyspace - sich ungefährt vervierfacht hat!) ca. 200 Stunden

HTML-Version:
Anpassen der Storyspace-Strukturen auf die HTML-Syntax:
das (zur Zeit) mehrere Links von Bildern nicht möglich sind, mußten die Bilder mit den namen der Pfade, in die sie verzweigen, versehen werden.
Die Umlaute mußten als Entities konvertiert werden (über Suchen und ersetzen:
ä -> ä (a-Umlaut)
ö -> ö (o-Umlaut)
ü -> ü (u-Umlaut)
ß -> &stlig;ouml; (sz-Ligatur)
Ä -> Ä (A-Umlaut)
Ö -> Ö (O-Umlaut)
Ü -> Ü (U-Umlaut)
Da die mir bekannten HTML-Browser beim Drucken und Abspeichern als Text die Entity-Sequenzen nicht herausfiltern,
sehen die Texte dann jenseits der HTML-Browser so zerstümmelt aus - fast wie eine Geheimschrift - und werden -ironischerweise?) unlesbar.
(Eastgate als Produzent von Storyspace hat Besserung gelobt und will in einem Update für den HTML-Export auch Sonderzeichen berücksichtigen!)
(Informationen zu "Storyspace" - für Macintosh und Windows über PooL-Processing oder direkt bei Eastgate-Systems:
Tel: Mark Bernstein: 001-617- 924-9044
email: eastgate@world.STD.com)
href="http://northshore.shore.net/~eastgate/Storyspace.htm">WWW-Informationen über Storyspace



Anregungen, Einflüsse
Literarische Transformationstechniken (Permutationen, Cut-Up, Intertexte), Borghes: "Die unendliche Bibliothek", Eco: "Im Namen der Rose", "Labyrinth der Bibliothek" und Minitel-Schreibprojekt im Rahmen der Immaterialien-Ausstellung (Paris 1984, organisiert von Jean Francois Lyotard).

Ansprechpartner:

Heiko Idensen:
idensen@rz.uni-hildesheim.de


Glünderstr. 3, 30167 Hannover
Tel: +49/ (0)511/ 709559
FAX: +49/ (0)5121/867558 (c/o Uni Hildesheim, A.M.I.)


Matthias Krohn:
krohn@fh-potsdam.de



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